Choreografie | Performance | Tanzwissenschaft
66666 ACROSS THE BOARD
Dokumentation eines offenen künstlerischen Prozess
Wenn alle fünf Wertungsrichter*innen in der Endrunde eines Tanzturniers das Schild mit der Nummer sechs in die Höhe halten, werten sie damit das schlechteste Paar des Finales. Seit August 2022 arbeiten die Kostüm- und Bühnenbildnerin Malaika Friedrich-Patoine, der Komponist Carlos Andrés Rico, die Dramaturginnen Anna Carolin Weber und Marie Simons wie auch die künstlerische Leitung und Choreograf*in René*e Reith in dem offenen künstlerischen Prozess 66666 ACROSS THE BOARD daran, an den Regeln des lateinamerikanischen Turniertanzes zu scheitern. Ausgehend von diesem Leistungssport, der Reiths Tanzerfahrung stark prägte, beschäftigt sich das Team beispielsweise mit heteronormativen Modevorstellungen unterwandernder Turnierkleidung durch Drag, rassistische Körperpaxen wie dem Brownfacing, dem Ideal des romantischen Paares, Showsport und der Binarität von Gewinnen und Verlieren. Hierfür versammelten sie sich an Schreib- und Arbeitstischen, in Tanz- und Musikstudios, in Ateliers und Kostümfundi, sowie in verschiedenen Proberäumen.
Der Probenprozess zeigte sich durch die Klänge einer eurozentrismus-kritischen Musik und in den erste Tanzschritten und Bewegungssequenzen einer repräsentationskritischen Choreografie. Er materialisierte sich in der Auseinandersetzung mit Strasssteinen und Pailletten und zeigte sich in Textskizzen, die sich daran versuchen, queere Biografien, queeres Leben und queere Erinnerungen zu erzählen. Der offene Probenprozess entfaltete sich während hitziger Diskussionen, bei herausfordernden Versuchsaufbauten oder beim gemeinsamen Rumba tanzen.
Was bedeutet es, prozesshaft-künstlerisch zu arbeiten und zu forschen? Was heißt es, nicht auf eine Präsentation hinzuarbeiten, sondern neben den inhaltlichen Fragen auch die eigene künstlerische Praxis zu befragen? Was heißt es, die eigene Arbeit in ihrer Entstehung und während ihrer Hervorbringung zur reflektieren?
Verschiedene Orte, verschiedene Köpfe, verschiedene künstlerische Praktiken und Herangehensweisen: Die Pluralität der Perspektiven soll sich auch in der Art und Weise der Dokumentation widerspiegeln und es wird versucht, einen punktuellen Einblick in eine konkrete Probenpraxis zu geben. Dabei geht es allerdings nicht darum, eine abgeschlossene Probenarbeit zu reflektieren oder auszuwerten, sondern vielmehr darum, diese Arbeit aus dem Prozess heraus zu beschreiben und einzelne Momente vorzustellen. Ziel ist es, den jeweiligen Zugriff auf eine kritische, aber auch faszinierte Auseinandersetzung mit dem Thema des lateinamerikanischen Turniertanzes zu beleuchten. Gerade aufgrund der interdisziplinären Aufstellung des Teams soll dokumentiert werden, inwiefern aus den verschiedenen künstlerischen Positionen, Blicken und Gedankengängen gemeinschaftliche Arbeit entsteht und wie diese sich aktuell fortsetzt. Dies soll in verschiedenen Medien dokumentiert und erläutert werden, durch Interviews und Gesprächsmitschnitte, in der Veröffentlichung von Textfragmenten und durch szenisch-bildhafte Impressionen. Die Dokumentation verfolgt weniger ein Nacherzählen der einzelnen Arbeitsschritte, sondern möchte bestimmte Fragen und den Prozess bestimmende Erinnerungssplitter, Zwischenergebnisse, Assoziationen und Anekdoten mit Ihnen und Euch teilen.
Künstlerische Leitung, Choreografie, Performance: René*e Reith
Kostüm- und Bühnenbild: Malaika Friedrich-Patoine
Musikkomposition: Carlos Andrés Rico
Tanzdramaturgie: Anna-Carolin Weber
Textdramaturgie und Prozessdarstellung: Marie Simons
Lichtdesign: Dennis Dieter Kopp
Künstlerische Assistenz: Hannes Siebert
Assistenz Bühne und Kostüm: Chantal Börner
Creative Production: Uta Engel und Carolin Brinkmann
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Stückliesel (Hark Empen)
Fotodokumentation: Maik Gräf
Videodokumentation: Almuth Anders
Fotografien: Maik Gräf
Gefördert vom Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR