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Perspektive: Kostüm- und Bühnenbild 

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Im Interview gibt Malaika Friedrich-Patoine, die den offenen Probenprozess „66666 Across the Board“ als Kostüm und Bühnenbildnerin begleitet hat, einen Einblick in ihre künstlerische Arbeit, ihre praktische Herangehensweise und ihre Ästhetik:

 

Was hast Du vor der Arbeit an dem offenen Probenprozess mit dem Thema Turniertanz verbunden? Was für Assoziationen, was für Bilder? 

M.: Bevor wir mit der gemeinsamen Arbeit angefangen haben, hatte ich vor allem Bilder und Erinnerungen an meine eigene Tanzschulzeit im Kopf. Dabei erinnere ich mich vor allem an die Räumlichkeiten, also an die Hallen, in denen ich Walzer tanzen gelernt habe und an meinen Abschlussball – irgendwo zwischen Mehrzweckhalle und royalem Tanzsaal. Ein Turniertanz-Turnier hatte ich vor der gemeinsamen Auseinandersetzung mit dem Thema noch nicht gesehen.

 

Und jetzt? 

M.: Etwas sehr viel Intimeres, als ich am Anfang mit dem Thema assoziiert habe. Bevor ich mich genauer mit der Welt des lateinamerikanischen Turniertanzes beschäftigt habe, habe ich Bilder von großen Räumen im Kopf gehabt, in denen Menschen parallel nebeneinander tanzen. Nachdem wir die Bilder und auch die Aufnahmen angeschaut haben, in denen René selbst tanzt, habe ich die Emotionalität und Intimität wahrgenommen, die im Paartanz liegt – ganz besonders dann, wenn René diese Tänze, die eigentlich für zwei konzipiert sind, alleine tanzt. Allgemein ist für mich mehr Gefühl in das Thema gekommen. 

Wie hast Du Dich dem Thema angenähert? Wie findest Du einen Zugriff? Wie ist Dein Zugriff auf Themen allgemein und jetzt auf „66666 Across the Board“ im Besonderen?

 

M.: Insgesamt nähere ich mich Themen zunächst visuell. Ich fange damit an, verschiedene Pinterest-Boards zusammenzustellen, also Bildsammlungen anzulegen. Für „66666 Across the Board“ habe ich mich zunächst damit beschäftigt, woher die lateinamerikanischen Tänze kommen, beziehungsweise was beim Karneval in Lateinamerika getragen wird, wenn dort Samba getanzt wird. In einem nächsten Schritt habe ich mich dann damit beschäftigt, was sich in der europäischen Aneignung zeigt. Also welche europäischen Vorstellungen einer lateinamerikanischen Tanzkultur durch die Tanzkleidung imaginiert werden. Für mich sind das verschiedene Folien, die sich da übereinanderlegen, wobei für mich die Frage zentral ist, wer ist René auf der Bühne? Wie ist Renés Körper durch das Kostüm in Szene gesetzt? Das Nachdenken über das Kostüm ist eng mit dem Nachdenken über Renés Körperlichkeit verknüpft, nicht zuletzt mit der Frage, worin René sich wohlfühlt. Mein zweiter großer Zugriff dreht sich um die Frage nach Materialität, konkret um die Frage, wie sich Materialien durch andere Materialien zitieren lassen – das ist für mich am spannendsten. Ganz konkret hat mich in letzter Zeit das Thema „Fransen“ beschäftigt, also wie diese verändert werden können, welche Farbe sie haben können und wo sie am Körper positioniert sein können. Ich versuche die Funktionsweise von einem spezifischen Stoff, einem spezifischen Material durch ein anderes Material zu zitieren. Damit entsteht dann ein kleiner Störfaktor, ein Irritationsmoment. Die Zuschauer*innen denken, „Ah, das kenne ich doch“, aber dann besteht es doch aus etwas anderem. Auch die Paillette ist hier ein dankbares Material. Sie hat was Falsches und ist doch sehr echt. Sie zitiert ganz viel Glamour und Grandeur, auch wenn sie eigentlich relativ simpel und klein ist. 

 

Wie gehst Du im Kontext des Kostümbildes mit den Binaritäten des Turniertanzes als klar gegenderter Paartanz um? 

M.: Da es im Kostüm des Turniertanzes ja eine ganz klar gegenderte Bildsprache gibt, habe ich mich erst mal mit den jeweiligen spezifischen Merkmalen beschäftigt, um sie in einem nächsten Schritt zusammenzuführen und zu verqueeren. Ein schönes Beispiel hierfür ist die hochtaillierte schwarze Hose mit dem weiten Bein, ein eindeutiges Merkmal für den Herren* im Turniertanz. Bei der Damen*kleidung gibt es mehrere Elemente, mit denen ich spielen kann – Fransen, Rüschen, Volants, Beglitzerung in Strass oder Pailletten. Diese finden sich zwar auch in der Herrenkleidung, aber eher in kleinen Details. Ich mache es mir dann zur Aufgabe, diese zwei Bilder, diese Merkmale zu überlagern, ohne dass klar konnotierte, gegenderte Teile nur kombiniert werden. Stattdessen vermische ich so, dass sie etwas Neues ergeben, dass Binaritäten überschrieben werden können, ohne die Referenz zu verlieren. Mir geht es darum zu erkennen, wo etwas herkommt und dass es gleichzeitig als etwas Neues erscheint. Für mich ist das Nachdenken über Kostüm auch immer mit dem Körper und vermeintlichen Körper-Normen verbunden, die performativ aufgezeigt und befragt werden. 

 

Was bedeutet es, Kostüme und Räume für Tanz, für sich bewegende Körper zu konzipieren? 

M.: Ich habe bisher viel für klassischere Theaterformate gearbeitet, also für Theater- und Operninszenierungen am Staats- und Stadttheater. Dabei ich gemerkt, dass es für unsere Arbeit jetzt, die Arbeit am offenen Probenprozess, einen anderen Zugriff braucht. Das habe ich auch schon bei den vorherigen Arbeiten mit René, „SCHWELEN“ (2020) und „Die Schneekönigin*“ (2021), gemerkt. Das Erste, was ich bei dieser Art von Arbeit vor meinem inneren Auge sehe, ist das Kostüm oder Kostümanteile, die eine bestimmte Situation bildlich beschreiben, die ich herstellen möchte. Erst sammele ich Assoziationen und dann schichten sich immer mehr Bilder übereinander. Dabei denke ich Bühne beziehungsweise Raum und Kostüm immer zusammen. Ich denke die Körperoberflächen als räumliche Flächen und so setzt sich dann eine ganze Welt zusammen. Ich finde es sehr spannend, Materialien zu finden, die sowohl auf oder am Körper funktionieren und die gleichzeitig einen Raum herstellen oder im Raum nutzbar sind.

 

Wie würdest Du Deine Ästhetik beschreiben? 

M.: Ich will mich da gar nicht so einschränken. Ich versuche eigentlich immer darauf einzugehen, was für das Stück benötigt wird. Am ehesten zeigt sich so etwas wie ein roter Faden vielleicht in einer grundlegenden Liebe für Farben und die Lust an der genauen Auseinandersetzung mit Material. 

 

Was bedeutet ein offener Arbeits- und Probenprozess für Dich?

M.: Ich habe gemerkt, dass ich anders bei den Proben anwesend war. Ich war weniger zielgerichtet, also sonst und konnte mir die Zeit nehmen, die Proben zu beobachten und inhaltlich einzusteigen. Ich konnte René beim Tanzen zu beobachten und aus der Situation heraus mögliche Kostüme konzipieren und zeichnen. Bei anderen Arbeiten denke ich viel technischer, gehe ich viel ergebnisorientierter vor. Sonst ist es ja auch oft so, dass vor den Proben schon die Gespräche mit der Regie geführt werden und alles Inhaltliche da geklärt wird. Dabei bespricht man dann eher einen hypothetischen Raum. Das heißt, die Kostüme werden gesetzt und fungieren als Hüllen, die dann von den Schauspieler*innen gefüllt werden. Da gibt es dann noch kleinere Änderungen und Anpassungen, aber keine konzeptuellen Änderungen. Jetzt, bei unserer offenen gemeinsamen Arbeit war es möglich, Körper in den Mittelpunkt zu stellen und von diesen auszugehen. 

 

Was war bisher Dein liebster Moment? Deine schönste Erinnerung an den offenen Prozess? 

M.: Da denke ich direkt an Aufführungsmomente, in denen René auf der Probebühne für uns getanzt hat. Am schönsten sind da die Momente, wenn René mir in die Augen schaut und ich das Gefühl habe, jetzt tanzt sie nur für mich. Alles andere fällt in diesem Moment weg und ich habe das Gefühl, ich kann gerade ganz tief in René reinsehen und sehe da ganz viel.

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